Akustik in offenen Büroräumen

Hybride Arbeitsmodelle prägen zunehmend den Berufsalltag. Räumliche und akustische Maßnahmen qualifizieren das Büro als zentralen Ort des Arbeitens, des Treffens und der Unternehmenskultur. Die neue ISO 22955 wird zur Planungshilfe.

Offene Bürolandschaften bestimmen die gegenwärtige Arbeitswelt, gänzlich neu sind sie jedoch nicht. Bereits in den 1950er Jahren gab es in Europa erste Bestrebungen, die bis Dato vorherrschenden geschlossenen Bürostrukturen aufzubrechen, nachdem sich letztere als hinderlich für das Wirtschaftswachstum und die umfangreichen Wiederaufbaumaßnahmen in der Nachkriegszeit erwiesen hatten. Deutschland kam hierbei eine Vorreiterrolle zu. Die schnellen Entwicklungen in der Fertigung, zusammen mit einer neuen Anschauung und neuen Visionen, um die Vergangenheit zu verarbeiten, ließ die Bundesrepublik offen für neues Denken. So entstand ein Konzept, das sich schnell über ganz Europa und Nordamerika verbreiten sollte.
Den Grundstein dafür legten die Brüder Wolfgang und Eberhard Schnelle, die 1958 die Beratungsgruppe Quickborner Team gründeten und zuvor als Gehilfen im väterlichen Möbelatelier tätig waren. Im Kontext ihres Raumplanungsbüros, direkt vor den Toren Hamburgs, interessierten sich die beiden auch für Büroräume. Der damalige Status quo bestand zumeist aus Schreibtischreihen und einer strengen Bürohierarchie. Hier sahen die Brüder die Chance zur Veränderung. Sie wollten ein System schaffen, bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht und zusätzlich durch organische und natürliche Strukturen mit dem strengen Raster von Fluren und Schreibtischen brechen. Ihr Ansatz hieß „Bürolandschaft“. In den Folgejahren entwickelten sich unterschiedliche Interpretationen wie Multispace, Combibüros oder auch Teambüros.

Optische Kennzeichnung verschiedener Areale eines Büros
durch Deckensegel oder Baffellösungen von Ecophon.
Foto: Tristan McLaren für Ecophon

Eine vollflächig verlegte Akustikdecke (hier Ecophon Focus Dg) sorgt
für eine ausgewogene Grundversorgung der Absorption im Raum.
Foto: Studio 3DSuperlab für Ecophon

Homeoffice verändert die Bürolandschaft

Von den frühen Pionierleistungen profitieren wir bis heute, da viele Tätigkeiten ein immer stärkeres Maß an Teamwork, Kommunikation und kurzen Entscheidungswegen erfordern, für die Bürowände nur hinderlich wären. Hinzu kommt, dass die Digitalisierung unsere Arbeitswelt in den vergangenen Jahren förmlich revolutioniert hat, was im Zusammenhang mit Corona verdeutlicht wurde. Gingen bis 2020 noch viele Menschen täglich ins Büro, sind seitdem hybride Arbeitsmodelle auf dem Vormarsch. Zeitgemäße Jobs definieren sich daher auch über unternehmensinterne Regelungen zum mobilen Arbeiten. Einfach ausgedrückt stellt sich die Frage: Läutet das Homeoffice die nächste Evolutionsstufe des Büros ein?

Vieles deutet darauf hin: Laut Bitkom Research 2022 möchten 29% der Befragten ausschließlich und 34% überwiegend im Homeoffice arbeiten. Zuhause gibt es aber Faktoren, die die Konzentration negativ beeinflussen können wie Kinder, Haustiere oder Haushaltsgeräte. In den heimischen vier Wänden kann es wiederum auch an sozialen Kontakten mangeln, wie die steigende Anzahl der Singlehaushalte indiziert. Angestellte dürften also weiterhin Interesse am persönlichen Austausch im Berufsumfeld haben. Das Homeoffice wird somit nicht zum Totengräber des Büros, sondern eine wertvolle Ergänzung. Wie wirkt sich also die Koexistenz von Büro und Homeoffice funktional und strukturell auf die Räumlichkeiten am Arbeitsplatz aus? Wie werden Mitarbeiter:innen Teil der Unternehmenskultur? Und was muss eine solche identitätsstiftende Kultstätte leisten?

Viele Tätigkeiten erfordern ein stärkeres Maß an Teamwork, Kreativität und Kommunikation. Die Akustikdecke reduziert dabei störende Geräusche.
Foto: Teddy Strandqvist Studio-e für Ecophon

Büros zum Wohlfühlen

Fest steht: Büros sollten die Annehmlichkeiten aufnehmen, die wir durch das Homeoffice kennengelernt haben – mehr noch, sie sollten auch traditionelle Ansätze beinhalten und ganz nebenbei die Identität des Unternehmens ausbauen oder formen. Außerdem gilt es, die Arbeitsstrukturen und den Workflow zu betrachten sowie Bereiche beziehungsweise Abteilungen eventuell neu zu positionieren. Zusätzlich sollten wir von der „Nüchternheit“ der vergangenen Jahre wegkommen und ein Design und Mobiliar wählen, das wir gerne nutzen möchten und auch zuhause nutzen würden.

In Kollaborationsbereichen darf es dann beispielsweise auch mal ein schickes Sofa sein, denn der Trend geht klar zu qualitativ hochwertigen Flächen statt zu großräumigen unpersönlichen Arealen. Die Planung neuer Räumlichkeiten darf die Grundbedürfnisse und damit die Behaglichkeitskriterien allerdings nie außer Acht lassen, wie es der Leesman-Index bestätigt: Demnach spielen Temperatur und Raumakustik ganz entscheidende Rollen, ob sich Menschen am Arbeitsplatz wohlfühlen oder nicht. Wie man dem letzten Review No. 32 entnehmen kann, sind ca. 46% der Befragten unzufrieden mit der Temperatur im Büro und ca. 45% mit der vorherrschenden Raumakustik. Kein anderer Faktor beeinflusst das Wohlbefinden häufiger negativ.

Akustische Qualität von offenen Büros

Nachdem sich infolge der Pandemie immer mehr Menschen wieder im Büro zusammenfinden, ist es zielführend, diese Störfaktoren durch ein entsprechend gestaltetes Umfeld zu minimieren. Dabei sollten Konzentrationszonen effektiv von Kommunikationsbereichen getrennt sein. Nach Jahren der Entbehrung besteht ein großes Bedürfnis nach sowohl formellem als auch informellem Austausch. Die akustische Separation ist somit eine Kernaufgabe, um auch offene Bürolandschaften für die kommenden Jahre zu qualifizieren. Deshalb bietet es sich an, anfallenden Aktivitäten im Hinblick auf ihre „Lautheit“ zu betrachten. Seit 2021 gibt es dafür als Planungshilfe die ISO 22955, die zum ersten Mal eine klare Koordinierung zwischen raumakustischen Anforderungen und verschiedenen Nutzungsprofilen von offenen Büroflächen beinhaltet.

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Raumakustische Werkzeuge helfen, Zonierungskonzepte auf Gefahren hin zu prüfen und Lösungswege durch bauliche Maßnahmen beziehungsweise funktionale, integrale und designorientierte Ausstattungskonzepte zu planen.

Wie funktioniert die ISO 22955? Es werden verschiedene Aktivitäten für bestimmte Areale definiert und in Raumtypen geclustert. Der Raumtyp 6 steht für kombinierte Aktivitäten in einem großen Raum mit zum Beispiel fokussierten Telefonaten und informellen Gesprächen. Diese Aktivitäten konkurrieren untereinander. Eine in der ISO vorgegebene Tabelle beschreibt potenzielle Zielwerte, die den Abfall des Schallpegels zwischen den verschiedenen Arbeitsplatzbereichen beschreibt. Es entsteht ein sogenanntes Erwartungsniveau, wobei die Reduzierung zum Beispiel zwischen den beiden oben benannten Bereichen einen Unterschied von 24 dB erreichen muss.

Das Nebeneinander von Besprechungs- und Rückzugsorten wird
durch die Ausstattung mit Ecophon Solo Circle Deckensegeln
ermöglicht. Foto: HGEsch Photography für Ecophon

 

Mittels verschiedener Maßnahmen der Grundabsorption im Raum wird man sich in der Planung auch dem Thema der Direktschallunterbrechung widmen müssen. Allerdings haben Untersuchungen unter anderem durch Jack Harvey Clark gezeigt, dass eine gute akustische Konzeption nicht eindimensional betrachtet werden darf, sondern die Wechselwirkung von „Sender“ und „Empfänger“ eingebunden werden muss. Somit stehen sich ein gewisses Erwartungsniveau (Ablenkungsempfindlichkeit) auf der einen Seite und eine Geräuschemission (Arbeitsgeräuschpegel), die von der Art der unterschiedlichen Tätigkeiten gegeben ist, auf der anderen Seite gegenüber. Die neue ISO betrachtet in einer Matrix die Tätigkeiten, die sich potenziell störend im gleichen Raum befinden. Dafür wird eine jeweilige Pegelreduktion empfohlen, bei der der Sprachschallpegel aus den jeweiligen Bereichen so stark im Raum abklingt, dass die Personen bei ihren Tätigkeiten nicht zu sehr abgelenkt oder gestört werden.

Computersimulationen und Auralisierungen

Raumakustische Computersimulationen zusammen mit den dazugehörigen Auralisierungen sind aktuelle Werkzeuge zur Gestaltung der akustischen Umgebung. Sie helfen, Zonierungskonzepte auf Gefahren hin zu prüfen und Lösungswege durch bauliche Maßnahmen beziehungsweise funktionale, integrale und designorientierte Ausstattungskonzepte zu planen. Ein solch holistischer Ansatz, der von Anfang an in die Planung integriert wird, birgt den größtmöglichen Erfolg, mit dem das Büro die Kultstätte des Unternehmens bleibt.

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Autor: Volker von Baczko, Consultant for Room Acoustics für Ecophon Deutschland