Wie man 15 Minuten mehr Unterrichtszeit bekommt

In einem Klassenzimmer mit guter Akustik kommen die Schüler schneller zur Ruhe und der Unterricht kann zügiger anfangen. Pro Woche lassen sich so 15 Minuten zusätzliche Unterrichtszeit gewinnen.

Im Rahmen der Studie wurde in einem Klassenzimmer der Jahrgangsstufe 5 (Mittelstufe) eine abgehängte Akustikdecke installiert. Auf weitere Veränderung der akustischen Umgebung wurde bewusst verzichtet. Der Lehrer maß, wieviel Zeit zwischen dem Eintreten der Schüler und dem eigentlichen Unterrichtsbeginn verstrich. Die gemessenen Zeiten wurden mit den Messwerten vor dem Deckeneinbau verglichen.

Die Ergebnisse sind eindeutig: Während es vor dem Einbau durchschnittlich 2 Minuten und 18 Sekunden bis zum Unterrichtsbeginn gedauert hatte, dauerte es nach dem Einbau nur 1 Minute und 17 Sekunden – ein Gewinn von einer Minute bzw. 44 Prozent, also fast der Hälfte der ursprünglichen Zeit. Da die Schüler pro Woche 15 Mal in das Klassenzimmer kommen, verlängert sich die tatsächlich nutzbare Unterrichtszeit wöchentlich um 15 Minuten. 

Petra Lagerberg, Svante Granqvist,Sebastian Holm

Petra Lagerberg, Studienleiter Svante Granqvist und Sebastian Holm.

Wissenslücke schließen

Die Studie wurde im Rahmen einer Diplomarbeit im Bereich Konstruktionsverfahren und Designökonomie von Sebastian Holm und Petra Lagerberg durchgeführt. Studienleiter Svante Granqvist bescheinigt den Studenten ein durchdachtes Studiendesign.

Mit den Ergebnissen ist er sehr zufrieden: „Die Untersuchung beschränkte sich auf ein einziges Klassenzimmer, doch die Erkenntnisse sind so interessant, dass wir weitere Studien durchführen werden.

Sebastian Holm, berichtet von einer Erkenntnislücke, die den beiden Studenten bei der Studienplanung aufgefallen war.

Die Beziehung zwischen objektiven Akustikprüfungen wie dem Speech Transmission Index (STI) und subjektiven Hörversuchen war vorher noch nicht wissenschaftlich untersucht worden. Wir haben deshalb die „Hagerman’s Sentences“ in die Studie aufgenommen, ein Test, bei dem die Schüler bestimmte Sätze zu hören bekommen. Anschließend schreiben sie das Verstandene auf. Durch die Kombination subjektiver und objektiver Hörtests konnte die Studie eine hohe Aussagekraft erreichen.“

Besonderheiten der Klassenzimmerakustik

Holm und Lagerberg führten die Untersuchung in einem Klassenzimmer für die Jahrgangsstufe 5 durch. Das Zimmer musste mehrere Studienkriterien erfüllen:

„Die Altersgruppe muss stimmen, bei jüngeren Schülern ist das Hören noch nicht ausreichend entwickelt. Die Unterrichtsstunden müssen messbar sein und es sind nur bestimmte Unterrichtsfächer möglich. Die Bedingungen dürfen sich während der Studiendauer nicht relevant ändern.“

In Schweden erfüllt die Jahrgangsstufe 5 diese Anforderungen: Die Klasse wird im selben Klassenzimmer unterrichtet, der Unterricht ist fächerspezifisch, es gibt einen festen Stundenplan.

Die Studienbedingungen waren so gestaltet, dass sich zwischen den Messwerten und der Akustikmaßnahme (Deckeninstallation) eine direkte Beziehung herstellen ließ:

„Beim Einbau einer Akustikdecke ändert sich oft auch das Lüftungssystem, was wiederum auf die akustische Umgebung zurückwirkt. In diesem Fall war der Hintergrundgeräuschpegel bereits relativ niedrig, so dass wir die Veränderungen spezifisch auf die verbesserte Akustik zurückführen konnten.“

Die folgenden Messungen und Tests wurden jeweils vor und nach dem Einbau der Akustikdecke durchgeführt:

  • Zeitmessusng durch den Lehrer
  • Hagerman’s Sentences: Ein Hörverständnistest, bei dem mehrere bedeutungslose Sätze vor einer definierten Geräuschkulisse zu hören sind.
  • Nachhallzeit: Impulsmessungen mit einer Holzklappe.
  • 50: Deutlichkeitsmaß, welche als raumakustische Kenngröße die Deutlichkeit von Sprache beschreibt.
  • Hintergrundgeräuschpegel: Die Messungen erfolgten am Wochenende bei leerer Schule.
  • Speech Transmission Index (STI): Ein Maß für die Sprachübertragungsqualität zwischen Sprecher und Zuhörer.
  • Umfrage: Es wurde die gleiche Umfrage durchgeführt, die vorher bei einer groß angelegten Sprachverständlichkeitsstudie für Klassenzimmer verwendet worden war.

Rasche Amortisierung 

Die Studie sollte klären, ob sich Akustikverbesserungen in Unterrichtsräumen betriebs- und volkswirtschaftlich lohnen.

„Wir haben nachgewiesen, dass das der Fall ist: Akustikdecken amortisieren sich. Die Studienergebnisse sind belastbar und können als Grundlage für Investitionsentscheidungen dienen.“

Der Einbau der Decke kostete rund 8500 Euro* (mehr als das Dreifache einer üblichen Klassenzimmerdecke in einem Neubau), einschließlich der Kosten für den Abbau der alten Decke und der hohen Überstundenkosten aufgrund der engen Frist. Das entspricht in etwa den jährlichen Kosten, die ein Schüler an einer schwedischen Pflichtschule verursacht. Wenn während der Gebrauchsdauer der Decke ein einziger Schüler aufgrund der besseren Lernumgebung das Klassenziel zusätzlich erreicht und nicht durchfällt, haben sich die einmaligen Anschaffungs- und Installationskosten bereits amortisiert.

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Vor allem aber schafft die verbesserte Akustik eine harmonischere Atmosphäre im Klassenzimmer und wirkt der Ausgrenzung entgegen.

Für Holm geht es nicht nur um kurzfristige Einsparungen:

„Die Klasse ist ruhiger, die Schüler sind weniger gestresst und können sich besser konzentrieren. Vor allem aber schafft die verbesserte Akustik eine harmonischere Atmosphäre im Klassenzimmer und wirkt der Ausgrenzung entgegen.

Wenn sich die Leistungen verbessern, fällt auch die Gruppenarbeit leichter und davon hat jeder etwas.”

Warum Raumakustik der Schlüssel ist

Holm and Lagerberg

Die Studienergebnisse übertrafen die Erwartungen von Petra Lagerberg und Sebastian Holm.

Die Zeit zwischen Pausenende und Unterrichtsbeginn wurde vom Lehrer gemessen, dem damit eine Schlüsselrolle bei der Studie zukam, denn die Messungen mussten absolut zuverlässig sein:

„Der Lehrer hielt sich genau an das Studienprotokoll. Er hatte schon früher ähnliche Messungen gemacht und achtete darauf, jedes Mal genau gleich zu messen. Eine der Stärken der Studie sind die vielen Einzelmessungen. Wir haben so oft gemessen, dass die Ergebnisse als statistisch gesichert gelten können.“

Die Ergebnisse übertrafen die Erwartungen der beiden Forscher.

Holm erklärt: „Die Verbesserung war eindeutig. Wahrscheinlich hatte der Lombard-Effekt** großen Einfluss auf die Ergebnisse. Lärm führt zu Lärm – wenn eine Person die Stimme hebt, spricht auch die nächste Person lauter und so weiter. Durch den Deckeneinbau verkürzte sich die Nachhallzeit und damit konnten wir den Geräuschpegel reduzieren.“

Jeweils vor und nach dem Einbau füllten die Schüler einen Fragebogen zur wahrgenommenen Raumakustik aus.

„Das ist ein subjektiver Test zur Bestimmung der Raumakustik“, erklärt Lagerberg. „Die Schüler empfinden das Klassenzimmer jetzt eher als Raum, in dem sie sich gern aufhalten.“

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Die Untersuchung zeigt auch, dass der Lehrer die Schüler jetzt besser erreichen kann. Dieser Effekt ist nicht auf den Stundenbeginn beschränkt.

Vorteile für die gesamte Unterrichtsstunde

Studienleiter Granqvist glaubt, dass sich die Unterrichtszeit, die durch eine schlechte Akustik verloren geht, auch als wirtschaftlicher Verlust ausdrücken lässt. „Dabei es auch um Barrierefreiheit und Ausgrenzung: Migranten und Schüler mit ADHS haben in lauten Umgebungen eher Lernprobleme.“

Die Messung der ungenutzten Unterrichtszeit sei eine große Verbesserung, „es geht aber nicht nur um die Zeit. Die Klasse ist nun eher in der Lage, sich ohne Ermahnung zu beruhigen, und das wirkt sich erfahrungsgemäß auch auf den Rest der Unterrichtsstunde positiv aus. Die Untersuchung zeigt auch, dass der Lehrer die Schüler jetzt besser erreichen kann. Dieser Effekt ist nicht auf den Stundenbeginn beschränkt.“

 

Text: Lars Wirtén

Foto: Anette Persson und Image Source Limited

 


 

* Bei der Installation im Rahmen eines Neubaus liegen die geschätzten Einbaukosten deutlich darunter (ca. 2500 Euro).

** Lombard-Effekt: Die Neigung, in lauten Umgebungen automatisch lauter zu sprechen.